Dienstag, 2. November 2010

Traditionelle Religion...

... spielt in der ghanaischen Kultur trotz der eifrigen Missionierung der Europäer nach wie vor eine sehr große Rolle. In nahezu jedem Dorf gibt es einen oder mehrere Schreine und der Glaube an die verschiedenen Götter ist weiterhin präsent. Sobald jemandem etwas zustößt, was er sich nicht erklären kann, wird eine höhere Gewalt verantwortlich gemacht. Und bei Bedarf wird die lokale Heilerin kontaktiert.


Lösungen für alles: "Total Solutions"

Um zu unserer auserwählten Heilerin und Fetischpriesterin zu gelangen, mussten wir zuerst den Volta mit einem Boot überqueren. Das bedeutet in Ada, dass man diverse Bootsfahrer anruft und fragt, wer heute fährt und sich dann an den Fluss setzt und wartet. Denn Boote – ebenso wie Tro-Tros – fahren erst ab, wenn sie voll beladen sind. 


Schrein
 Auf der anderen Voltaseite, in Anyanui, erwartet uns ein Guide, der uns ins Nachbardorf zu „Mamishie Rasta“ bringt. Dort angekommen ziehen wir zuerst unsere Flip-Flops aus und tragen uns ins Gästebuch ein – mit genauer Ankunftsuhrzeit, was einen interessanten Gegensatz zur sonstigen Zeitlosigkeit in Ghana darstellt. Im Haus der Heilerin sitzen auf dem Boden verstreut Menschen, die trommeln, Menschen, die nähen, Kinder, die spielen und fernsehen und dann uns anstarren, während wir auf eine Bank gesetzt werden und das obligatorische Wasser angeboten bekommen. So wie es üblich ist, wenn man zu Gast in einem ghanaischen Haus ist.

Bei hochangesehenen Persönlichkeiten, wozu auch traditionelle Heiler gehören, müssen ganz bestimmte Rituale ausgeübt werden, wenn man mit ihnen zu tun hat. So ist der Begrüßungsprozess  lang und kompliziert und leider auch auf Ewe, so dass wir nichts verstehen. Wir werden dann zu ihren Krokodilen geführt, nachdem wir uns unserer Oberteile entledigt hatten. Ursprünglich war es einem nur mit einem Tuch bekleidet gestattet, einen Schrein zu betreten, doch inzwischen wurden diese Regeln etwas gelockert und wir mussten nur das Shirt gegen ein Tuch austauschen. Die Krokodile, die wir dann sahen, sind für die Diagnose der Heilerin sehr wichtig, denn Mamishie Rasta befragt die Krokodile nach der richtigen Heilmethode. Das kann alles sein, von Tinkturen für die Haut über Kräuter zum Essen oder Trinken bis hin zu einem Pulver, dass auf eine Wunde aufgetragen wird. 

Mamishie Rasta und 2 Befonus
Neben Heilungen wird Mamishie Rasta auch für Anfragen und Probleme sonstiger Art aufgesucht. Fischer kommen z.B. zu ihr, um einen besseren Fang zu erbitten, andere kommen, um ihre Kinderlosigkeit „behandeln“ zu lassen und wieder andere, weil sie arbeitslos geworden sind. Für die Dienstleistungen gibt es zwar keine festen Preise, aber das was üblicherweise gezahlt werden muss, übersteigt oft das Monatsgehalt des „Patienten“. Doch der Preis wird freizügig gezahlt, denn nach dem traditionellem Glauben bekommt man das, was man gibt, um ein Vielfaches zurück.

Da wir die Heilerin und ihren Schrein gern in unser Tourismusprogramm aufnehmen wollten, waren wir noch ein zweites und drittes Mal bei ihr zu Besuch. Beim zweiten Mal hatten wir die Ehre, ins Innere ihres Wohnhauses geladen zu werden. Dort wurden zunächst die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht und danach das Anliegen vorgetragen (immer mit Dolmetscher, da die Heilerin aus traditioneller Verbundenheit Ewe spricht und nicht Englisch). Während der gesamten Unterhaltung liefen Musikvideos im Fernsehen, die von allen Beteiligten immer wieder interessiert angeschaut wurden. Was für uns wie ein unmöglicher Mix des Traditionellen mit der Moderne wirkte, war für die anwesenden Ghanaer völlig normal. 


Tanz bei einer traditionellen Beerdigung
Leider haben traditionelle Schreine in Westafrika auch eine sehr traurige und erschreckende Geschichte. Seit langen Zeiten war es üblich, für eine Straftat, wie z.B. einen Diebstahl oder eine Lüge zu büßen, indem ein Mädchen der Familie zu einem Schrein geschickt wurde, um diesem und den Göttern zu dienen. Das konnte – je nach Härte der Straftat – ein Jahr oder auch 40 Jahre dauern. Während dieser Zeit hatte das Mädchen keinen Kontakt nach außen, keine Rechte und auch keine Chance auf eine Flucht. In den meisten Fällen wurden die Mädchen zusätzlich noch von den Priestern der Schreine missbraucht. Und das alles, obwohl sie selbst nichts Unrechtes getan haben. Die Schuld zog sich durch die gesamte Familie. Denn wenn es dem Mädchen doch gelang zu fliehen oder es starb, musste eine Schwester geschickt werden.
Trotz eines gesetzlichen Verbotes im Jahr 1998 gibt es noch immer Schreine, in denen die alte Tradition im versteckt weitergeführt wird. Doch die große Mehrheit der Mädchen wurde befreit und versucht, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren. In unserem District z.B wurde für sie eine Schule gebaut, in der sie eine Ausbildung erhielten, um ihnen nach den Qualen ein normales Leben zu ermöglichen. Auch wurde viel dafür getan, die Öffentlichkeit auf diese überkommene Tradition hinzuweisen und die Befreiung der Mädchen zu erreichen.

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