Mittwoch, 17. November 2010

Ein Tag in Big Ada

Jeden Morgen, wenn wir gegen 8 Uhr gemeinsam frühstücken, sind die Kinder des Hauses schon längst in der Schule. Sie essen ihr Frühstück in der Schule und trommeln und singen anschließend gemeinsam. Die lebendigen Rhythmen dringen ab 07:00 Uhr aus einiger Entfernung gleichzeitig mit dem Summen unseres Weckers in unser Ohr.

Viele Ghanaer stehen (sehr) früh auf. Wenn wir unsere tägliche Portion Bananen fürs Frühstück nicht schon abends gekauft haben, steht diese Besorgung morgens auf dem Plan. Big Ada wimmelt dann schon längst von Menschen und alle Verkaufsstände haben geöffnet. Üblicherweise werden Bananen erst nachmittags an den Ständen ausgebreitet, aber auf Nachfrage wird man gerne von der Bananenverkäuferin seines Vertrauens an deren Haustür geleitet, aus der sie dann die gewünschte Menge hervorzaubert. Wie so oft geht es auch hierbei nicht immer ohne Missverständnisse ab, denn vor allem ältere Menschen sprechen nicht immer die Amtssprache Englisch.
Nach Geldübergabe und Warenannahme (beides gleichzeitig mit der rechten Hand!) bedanken wir uns freundlich mit dem Wort „Openo“ („Danke“ auf Dangme) und ernten dafür oft herzlichstes Gelächter. Wir nennen es den Openo-Effekt. Er stimmt jeden Verkäufer hier fröhlich, was wiederum uns ansteckt. Plötzlich versteht man sich.
Die nun heitere Stimmungslage kann sich auf dem Weg zurück ins Haus, je nach Tagesform, wieder etwas eintrüben, wenn am Wegrand stehende oder sitzende Ghanaer mal wieder den „Befonu“-Ruf auspacken. Er ist niemals unfreundlich gemeint, klingt aber in unseren Ohren immer etwas ruppig und erfordert auf jeden Fall eine Rückmeldung (z.B. grüßen, winken (bei Kindern) oder wenigstens gucken). Die allseits frei herumlaufenden Ziegen, Schafe und Hühner verlangen da schon etwas weniger Aufmerksamkeit. Sie sind Teil einer tierischen Parallelwelt, die sich die inner- und außerstädtische Infrastruktur mit den großen Zweibeinern in beeindruckender Harmonie teilt. Nur stolpern sollte man nicht über sie, vor allem, wenn sie nachts mitten auf der Straße schlafen.

Während das ghanaische Frühstück hier meist aus flüssigem Porridge aus der Tüte besteht, ernähren wir uns zu früher Stunde vorzugsweise von halbfestem Porridge aus Haferflocken (leider importiert aus Deutschland), Wasser und den eben erstandenen Bananen. Gekocht wird der Brei in unserer Küche auf dem Gaskocher mit Gasflasche; neben dem kurzstümpfigen Holzkohlegrill die häufigste Kochmethode hier.
Auch sonst ist die Ausstattung einfach und spärlich, aber für die lokalen (und mittlerweile unsere) Bedürfnisse vollkommen ausreichend. Wir haben sogar fließend Wasser, was hier im Dorf nicht jeder von sich behaupten kann. Wer nicht ans Wassernetz angeschlossen ist, holt es aus dem Nachbarhaus oder von einem öffentlichen Hahn. Strom fließt dafür in Jedermanns Hütte in Big Ada - dafür hat die japanische Regierung durch finanzielle Unterstützung 1995 gesorgt.

Für den Frühstückstee kochen wir unser Luxusleitungswasser ordentlich ab. Brei und Tee nehmen wir draußen auf der Veranda bei, wie immer, 28 - 30°C und leichter Seebrise zu uns. Am Wochenende mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit unter Beobachtung und Füßescharren der Kinder des Hauses. Egal was die Befonus auf dem Teller haben, es bietet auf jeden Fall ausreichend Spannung für die Kids und schmecken tut's sowieso.
Da der Standard hier im Haus generell vergleichsweise höher als in vielen Häusern und Hütten sonst im Dorf ist, gibt es auch eigene Duschen und ein WC. Die typische Wohnung hier scheint nach unseren bisherigen Beobachtungen aus zwei einfachen Zimmern mit Steinboden und Moskitonetzfenstern ohne Verglasung zu bestehen, wobei Möblierung kaum vorhanden ist. Das Wort Sicherheitsstandard gehört bisher sicherlich noch nicht zum aktiven Wortschatz, denn das braucht es bei dem friedlichen Miteinander auch nicht. Jeder kennt und grüßt jeden und bei möglichen Übeltätern vertraut man in der Regel auf Gottes oder Allahs gerechte Bestrafung.
Während unserer Arbeit, die wir meist hier im Haus erledigen, steht als Pausenbeschäftigung oft Wäschewaschen auf dem Programm. Mit jedem Waschgang steigt die Erfahrung bei der Handwäsche und wir werden routinierter: Wasser erhitzen - Wäsche einweichen lassen - kräftig durchrubbeln - gut ausspülen - aufhängen. Zur Schmutzlösung wird entweder Kernseife verwendet, die man hier vom großen Stück geschnitten kauft, oder „Klin“-Waschpulver in kleinen Tütchen. So versiert wie unsere Mitmenschen hier sind wir aber doch lange noch nicht, denn man legt viel Wert auf eine anständige, gepflegte Bekleidung. Ob auf einer staubigen Straße, einem schlammigen Marktplatz oder mitten in der Savanne. Wo sich der gut ausgerüstete deutsche Abenteuertourist gerne in Zip-Trekkinghose zeigt, schwebt der Ghanaer oder die Ghanaerin in aller Selbstverständlichkeit durchaus in Anzug oder im perfekt gebügelten bunten Kleid seines oder ihres Weges - das Gepäck oder die Verkaufsware dabei sicher auf dem Kopf verstaut.

Nach dem Abnehmen unserer Wäsche hängen wir sie über die Leine in unserem Zimmer, da Textilien bei der hohen Luftfeuchtigkeit im Koffer nach einiger Zeit schimmeln würden. Einen Kleiderschrank gibt es ohnehin nicht.
Eine weitere Pausenbeschäftigung ist Rasenmähen, das wir erst von den Kindern des Hauses lernen mussten, da hierbei mit der Machete gearbeitet wird. Unsere Bürohändchen haben natürlich sofort Blasen bekommen und im Endeffekt waren wir wohl keine besonders große Hilfe.
Neben dem Rasenmähen sieht man alle Kinder hier noch viele weitere Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Mit spätestens dem Eintritt des fünften Lebensjahres erledigen sie Einkäufe im Dorf und waschen routiniert Wäsche sowie Geschirr. Gleichzeitig ist der Respekt vor älteren Personen, selbst wenn der Altersunterschied nur Wochen beträgt, enorm. Der oder die Ältere hat in jedem Fall unangefochten das Sagen. Außer im Haushalt sieht man viele Kinder auch neben ihren Müttern oder ganz allein am Verkaufsstand stehen. So kauft der Siebenjährige auch mal ein Stück Seife beim Zehnjährigen und beide können kaum über den Ladentisch gucken. Die Selbstständigkeit der „Knirpse“ ist beeindruckend. In der Regel geht jedes Kind jedoch vor allem in die Schule, denn die ist erstens Pflicht und zweitens ist jedem hier von kleinauf das Privileg des Lernendürfens vollkommen bewusst. Gegen halb drei strömen sie dann in ihren Schuluniformen wieder heraus aus der Schule und färben die Straßen noch einmal bunter. Zurück hier im Haus springen unsere Kids dann gleich die Treppe hoch und suchen nach Unterhaltung an und um unseren Arbeitstisch.
Abends führt uns erneut der Hunger in die Hauptstraße von Big Ada und wir schlendern vorbei an der Bar von „Barma“, die ganz in den Guinness-Farben (schwarz-gelb) gestrichen ist. Nach kurzem Talk mit Barma - er wäre enttäuscht, wenn wir nicht kurz anhalten - verabschiedet er uns abrupt mit „go come“ (frei übersetzt: „Bis später!!!“). So spontan die Menschen hier handeln, so spontan beenden sie oft das Gespräch. Und die imperative Ausdrucksweise verblüfft immer wieder. Man wird hier und da das Gefühl nicht los, herumkommandiert zu werden. Zeigt man seine Bereitschaft zum Teilen seines Essens nicht selbstständig durch „You're invited“ an, wird eben direkt nachgefragt: „Am I invited?“.
Weiter im Dorfzentrum laufen wir an den gleichen Verkäufern vorbei, die schon heute früh auf den Beinen waren. Zum Teil schlafen sie nun an ihrem Verkaufsstand und man muss den ein oder anderen wecken, um einzukaufen. Sie verkaufen solange, bis sie den erwünschten Betrag an diesem Tag eingenommen haben. Es gibt kaum eine Trennung zwischen Leben und Arbeiten, beides findet gleichzeitig statt.

Bei vielen Dingen des täglichen Lebens wissen wir nicht, ob diese nur geschehen, weil wir erstens Befonus sind und zweitens auf dem Dorf wohnen. Einige, wie z.B. die verstärkte Kontaktaufnahme mit Sicherheit. Ganz allgemein erleben wir aber krasse Gegensätze zwischen Tradition und Fortschritt, arm und reich, Dorf und Stadt. Es gibt noch viel zu erleben, zu lernen und zu verstehen.

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